31. Dezember 2010: Messe zum Jahresschluss

der Silvesterabend hat auf jeden Fall einen besonderen Reiz:

Die Repräsentanten halten feierliche Reden: sie stellen die Bürger auf die Herausforderungen ein, sprechen ihnen Mut zu. Sie rühmen das Erreichte und bedauern die schlimmsten Ereignisse des vergangenen Jahres.

Freunde und Verwandte essen und trinken zusammen und versuchen einen heiteren, netten Abend zu gestalten.

Gegen Mitternacht werden Sektflaschen geöffnet und man wünscht sich ein gutes neues Jahr.

Viele gehen um Mitternacht auf die Straße und lassen es krachen. Der Nachthimmel wird von bunten Ornamenten erleuchtet.

Was ist mir an Silvester wichtig? Ich möchte das alte Jahr im Frieden beschließen und das Neue gut beginnen:

Das alte Jahr im Frieden beschließen?
Da denke ich an so manches, was noch im Unfrieden ist:

Industrie und Wirtschaft haben das Jahr als Krisenjahr begonnen – es ist ein starkes Jahr geworden: Selbst das Loch in den Staatskassen wuchs nicht gar so sehr, wie befürchtet.

Aber: die Einkommen der Arbeitnehmer sind eher kleiner gewor­den; die hälftige Aufteilung der Kosten für das Gesundheits­system zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wurde aufgegeben. ‑ Die Zeche für die Unersättlichkeit der Spekulanten und für ihre Selbstüberschätzung und Ignoranz tragen die kleinen Leute.

Der Abstand zwischen Reichen und Armen wird größer und größer. Die Personen mit geringem Einkommen werden immer mehr und die Bezieher von durchschnittlichen Einkommen werden weniger.

Den Menschen, die immer mehr ins Abseits geraten, weil ihr Einkommen zu gering ist, weil ihre Krankheit sie an die Grenzen bringt, ihnen gilt das Wort:

ich bin bei den Zerschlagenen und Bedrückten,
um ihren Geist wieder aufleben zu lassen /
und das Herz der Zerschlagenen neu zu beleben.

Das alte Jahr im Frieden beschließen: da fällt mir als Pfarrer unweigerlich ein, welch unglaubliche Verbrechen in diesem Jahr aufgedeckt wurden: in kirchlichen Häusern haben jahrzehntelang nicht wenige Priester und Ordensleute und kirchliche Beschäftigte junge Menschen sexuell missbraucht und geschlagen.

Es genügt nicht, hinzuweisen, dass diese Verbrechen auch in anderen Kreisen – vielleicht noch häufiger ‑ begangen werden;
es genügt auch nicht, die Täter zu verurteilen und sie aus dem kirchlichen Dienst zu entfernen und straffällige Priester aus dem Klerikerstand zu entlassen.
Dadurch wird die Unschuld der Kirche nicht wieder hergestellt.

Es gab und gibt in der Kirche Strukturen, die solche Verbrechen begünstigten:
Das ist zum einen die Selbstdarstellung der Priester und Ordens­leute als unanfechtbare Gottesmänner und -frauen, die über jeden Verdacht erhaben scheinen: Um den guten Ruf zu schützen, wurden die Täter geschont und die Opfer im Stich gelassen.

Zum anderen wird die Autorität in der Kirche zu stark betont: Der Einzelne – an welcher Stelle auch immer – soll seinen Vorgesetzten gehorchen: Kritik am Verhalten und an den Inhalten wird im Keim erstickt. Fragen und in Frage stellen gilt als lästig und störend.
Manche an unterer Stelle wollen aber auch ihre Macht spüren – wenigstens gegenüber den Kindern, deren Vorgesetzte sie sind: Schläge und sexueller Missbrauch sind dann die übelsten Spitzen in den Auswirkungen einer allzu autoritären Führungsstruktur.

So erinnere ich mich an das vergangene Jahr 2010. Ich will meinen Frieden machen, denn immerhin: die Zerschlagenen haben in diesem Jahr eine Stimme bekommen. Das Treiben der Mächtigen wurde bekannt und die Defizite können nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden.

Doch was die Menschen in Kirche und Gesellschaft 2010 plagt, darf nicht einfach im Jahr 2011 weitergehen:

Wohl mahnt Paulus zu Güte, Demut, Milde, Geduld und zur Vergebung. Dann aber redet er uns zu Herzen und schreibt:

„Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht.
In eurem Herzen herrsche der Friede Christi!

Diese Liebe kann nicht heißen, dass alles so bleibt wie es ist.
Im Gegenteil: Lieben heißt: Gerechtigkeit herstellen um des Mitmenschen willen. Denn ohne Gerechtigkeit kann kein Friede sein. Wenn Gott, der Größte und Vollkommene, seine Herrlichkeit mit uns teilt, uns gerecht macht und uns Vergebung gewährt,
dann haben auf der Erde besonders die Reichen die Pflicht, allen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und das von allen erwirtschaftete gerecht zu verteilen. Johannes Paul II forderte deshalb: „Die Arbeit muss Vorrang haben vor dem Kapital!“

Noch einmal: Den Armen, den Bedrückten, den Opfern von Macht und Gewalt ist Gott nahe. Er steht auf ihrer Seite, wie Christus mehr als deutlich machte!

Die Mächtigen, die Vorgesetzten in der Kirche und im Staat, die im Reichtum schwimmen, für den andere ihren Schweiß vergossen haben, sie sollen sich zu Herzen nehmen, was Jesus sagt:

Macht euch keine Sorgen um Essen, Trinken und Kleidung!
Wer sich um Reichtum und Besitz sorgt, zeigt, dass er nicht an den himmlischen Vater denkt.
Wer ihm vertraut, der sammelt nicht Schätze für sich, sondern sorgt für eine gerechte Verteilung der Werte unter den Menschen. Die Früchte werden dann sein: Friede und Vertrauen, Versöhnung und Freude.

Schwestern und Brüder! Ich bin der Meinung: Mit wem wir auch reden, wir dürfen nicht schweigen! Wer Fragen stellt und wer in Frage stellt, trägt mehr zum Frieden und zur Entwicklung bei, als wer Augen und Ohren und Mund verschließt.

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