ist hier zu lesen: Rede von Professor Müller
Lieber Sven,
ich habe ein bisschen recherchiert. Die ganze Rede habe ich noch nicht gelesen, nur die einschlägigen Stellen am Anfang. Jeder Vergleich greift nur einen bestimmtenVergleichspunkt heraus. Selbstverständlich hat die kath. Kirche keine Gefängnisse, betreibt keine Folter, ist nicht atheistisch usw.
Aber: was diese atheistischen Staaten erfahren mussten ist: Es gab eine Fassade von Staatsräson, die „Führer“ verschlossen die Augen vor der Realität. Das Volk identifizierte sich schon lange nicht mehr mit dem System.
Es wurde nur äußerlich der Eindruck aufrecht erhalten.
Dass insofern der Zustand der kath. Kirche und ihrer Mitglieder ähnlich sein könnte, formulieren sie selbst. Sie wird kleiner werden. Das größte Problem sind nicht die Fragen von Zölibat, … – wiewohl auch diese Fragen nicht einfach abgetan werden dürfen – wie sie es schon seit 40 Jahren getan werden (seit Benedikt XVI. ein junger Professor war). Das größere Problem ist, dass das Sprechen von der frohen Botschaft Jesu auf bestimmte Formulierungen festgelegt wird.
Versuche, den christlichen Glauben ins Heute zu übersetzen werden innerkirchlich als Glaubensabfall und als Aushöhlung des Glaubens bewertet, die entsprechenden Theologen mit Lehrverfahren belegt. Die Sprache der kirchenamtlichen Theologie erreicht die Katholiken nicht mehr. Sie können damit nichts mehr anfangen. Sie gehen nicht mehr zur Sonntagsmesse. Und sie gehen auch nicht mehr an Weihnachten in die Kirche.
Sie wenden sich sogar – wie sie richtig bemerken – vom Gottesglauben ab.
Ich fürchte, dass dies auch daran liegt, dass die hohen Vertreter der Kirche nur die immer gleichen Formeln wiederholen. Die Kirche macht nicht den Eindruck, als ob es etwas zu entdecken und zu finden gäbe. Es herrscht der Ton des „Das ist die Wahrheit! Glaube oder geh!“
Die Kirche ist aber gesandt, den Menschen die frohe Botschaft zu verkünden, das Versöhnungswerk Christi fortzuführen, damit die Menschen zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes gelangen, ..
Sie darf nicht selbst zum Hindernis für den Gottesglauben werden.
Es geht darum, den Menschen den Zugang zu Gott zu eröffnen, der die Liebe ist, das Geheimnis der Schöpfung, dessen Geist in allem Lebendigen ist, so dass die Erkenntnis Gottes und die Liebe zu Gott zur Grundlage wird für wahre Mitmenschlichkeit und für den verantwortungsvollen hegenden Umgang mit der Schöpfung, die uns anvertraut ist. Die Kirche, so wird das 2. vat. Konzil oft zitiert, soll Zeichen der innigsten Vereinigung der Menschheitsfamilie mit Gott sein.
Damit sie diese Aufgabe wirklich erfüllt, muss sie gesprächsbereit und offen sein und das tun, was Jesus getan hat: den Menschen zusagen, dass Gottes Geist in ihnen ist, dass Gott ihr Vater ist und dass das Reich Gottes ihnen offen steht – diese Botschaft hat die Menschen verändert – besonders die Zöllner und Sünder.
Heute aber treten die mächtigsten Vertreter der Kirche auf wie der letzte heilige Rest, der bis auf den letzten Blutstropfen die heilige Kirche und ihre Gesetze und Traditionen verteidigt und der damit beschäftigt ist, alle, die auch nur einen Stein neu tünchen wollen, als Quertreiber, Nestbeschmutzer und Verräter aus ihren Reihen zu vertreiben. Dabei gibt es eine Gruppe, die immer einflussreicher wird, und erklärt:
Es muss ein Zustand wiederhergestellt werden, der an einem bestimmten Punkt der Vergangenheit herrschte: nämlich in der Zeit nach dem 1. vatikanischen Konzil.
Ja, ich glaube, dass Gott in der Kirche wirkt. Aber ob Gottes Geist nur aus den Vertretern der Hierarchie spricht? Ob er nicht vielleicht doch auch in den Herzen der gläubigen Theologen spricht?
Lieber Sven,
den Glauben heute bedenken und ausdrücken, ihn ins heute übersetzen, ist unabdingbar. Es geht um mehr als um neue technische Hilfsmittel und englisch kryptische Ausdrücke wie „bet4me“.
Es geht um neue Denkmuster, die die Menschen von klein auf lernen und in die sich die Botschaft Jesu wieder neu inkulturieren muss. Nötig ist also wirklich ein neues christliches Denken, damit Jesu Botschaft ihre befreiende Kraft entfalten kann.
Der Abschied von der Volkskirche –
den fürchten am meisten die Bischöfe. Sie bevorzugen die Sakramentenspendung ohne Hinschauen, ohne Glaubensfundament der Empfänger. Pfarrer, die einmal „Nein“ sagen, werden grundsätzlich von „oben“ beeinflusst, daraus ein „Ja“ zu machen – um Ärger zu vermeiden. Es gibt dann noch eine fromme Begründung: Man dürfe die Gnadenhaftigkeit des Sakramentes nicht verdunkeln.
Prof. Müller und andere sind ganz sicher keine Kirchenhasser – es sind vielmehr Liebhaber der Kirche, in der Jesu Botschaft lebendig ist.
Dass seit Jahrzehnten die Themen wieder auf den Tisch kommen – seit Jahrzehnten wurden die Diskussionen nicht ergebnisoffen diskutiert. Das war schon zu Zeiten von Prof. Josef Ratzinger so – wie jüngst hinreichend bekannt gemacht wurde.
Die Entscheidungsträger lassen eben keine offene Diskussion zu. Sie erklären immer nur wieder, dass nicht sein kann, was nicht sein darf und noch nie sein durfte.
Opportun sind die Leute nicht, die als Kirchenleute die Stimme kritisch gegen den Kurs der Bischöfe erheben. Sie setzen einiges aufs Spiel. Beispiele für gebrandmarkte und hinaus gestellte Theologen gibt es mehr als genug. Entsprechende Ankündiungen von Bischof G. L. Müller gab es auf kath net (link war auf der Homepage des Bistums Regensburg).
Nein: die Beschränkung des Dialogs kommt eindeutig aus Süden und ist mit Mitra und Stab „bewehrt“.
Die Sexualmoral ist ein neues Fass. Es zu öffnen, hat schon manchen den Lehrstuhl gekostet.
Die Schwesterkirchen teilen das Schicksal. Das katholische hat durchaus einige Vorteile. Aber wir sind dabei, sie zu verlieren. Denn wir verlieren Tag für Tag mehr Glaubwürdigkeit.
„Wachsende und lebendige katholische Minderheitenkirche“ – Wo sind die Grenzen des Wachstums? 2,5% oder 5%?? Jesus sendet uns nicht, den Zölibat zu verteidigen und die Ungleichheit der Frau zu festigen. Seine Sendung ist nicht, die hierarchische Verfassung der Kirche zu festigen und die Unfehlbarkeit des Papstes zu verkünden. Er beauftragt er uns auch nicht, sicher zu stellen, dass die Bischöfe das alleinige Sagen in der Kirche haben. Vielmehr sagt er: Verkündet allen Völkern das Evangelium! Wer der Größte sein will, soll euer Diener sein. Ihr sollt einander die Füße waschen.
Liebe Grüße nach Ergoldsbach, Martin Müller
PS.:
1. Da sie so beherzt eintreten für eine Entscheidungskirche, interessiert mich doch allmählich, wie Sie sich in der Kirche einbringen. Ist die Frage erlaubt oder empfinden Sie dies als Zumutung?
2. Wer waren diese Laienkonvertiten und welche Erneuerung brachten sie?
Lieber Hw. Herr Pfarrer!
Den Glauben in die Sprache von heute zu übersetzen, ist sicherlich wichtig und dringlich. Dazu gehört auch Offenheit für den Horizont der Menschen von heute.
Diese Offenheit darf aber andererseits nicht mit inhaltlicher Beliebigkeit ausgetauscht werden. Als Beispiel kann die Predigt des Paulus auf dem Areopag dienen. Er ging auf die Verständnismöglichkeiten der Athener ein – ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Er blieb sich und seiner Botschaft treu. Dafür erntete er zwar weithin Ablehnung, konnte aber auch neue Anhänger hinzugewinnen. Wer seinen Überzeugungen treu bleibt, ist anscheinend auch für andere überzeugend.
Mit neuen Wegen der Verkündigung herumzuexperimentieren kann sicher spannend sein. Allerdings ist auch an mancher Stelle eine Grenzziehung nötig. Diese sollte im geschwisterlichen Dialog gefunden werden.
Ob freilich die Themen des Memorandums dazu taugen, den Glauben in Europa neu zu entfachen, bezweifle ich doch stark. Kennen die Verfasser die Situation unserer europäischen Geschwisterkirchen? Nahezu alle der großen reformierten Staats- und Landeskirchen haben sämtliche Punkte des Memorandums (längst) erfüllt. Wo stehen sie heute? Wo bleibt denn die große Glaubensblüte?? Die Niederlande ist heute weitgehend ein atheistisches Land, die calvinistische Staatskirche spielt öffentlich praktisch keine Rolle mehr. Ähnlich sieht es in Schweden und den anderen Teilen Skandinaviens aus. Die anglikanische Kirche steht mitten in einem historischen Zerfallsprozess. Und im protestantischen Teil Deutschlands sind die praktizierenden Gemeindemitglieder mittlerweile eine verschwindende Minderheit (ca. 3 % der „offiziellen“ Kirchenmitglieder).
Interessant ist aber, dass es in allen diesen Ländern gleichzeitig eine kleine, aber wachsende und lebendige katholische Minderheitenkirche gibt (besonders stark seit neuestem in Großbritannien). Was überzeugt diese Menschen an der katholischen Kirche, das sie in ihren Staats- oder Landeskirche nicht mehr wiederfinden? Oder sind das alles bloß verbitterte radikale Erzkonservative? Jedenfalls sollten wir alle auch gerade diesen Konvertiten mehr Offenheit entgegenbringen. Schließlich waren es ja vor allem die Laienkonvertiten, die beispielsweise im 19. Jahrhundert die damalige große Glaubenserneuerung schufen.
Insofern wird sich das Bild der Kirche nämlich sehr wandeln. Die alte anachronistische „Volkskirche“ mit geschlossenem katholischen Milieu, in das man eben hineingeboren wurde und wo man dann ein Leben lang irgendwie mitlief, hat ausgedient. Die Kirche wird zur bewussten Entscheidungskirche werden. (Statt „Glaub oder Geh!“ müsste es also vielmehr heißen: „Komm, wenn Du glaubst!“). Diese Entwicklung ist schließlich zum guten Teil auch einer pluralistischen Gesellschaft geschuldet mit ihren grundverschiedenen Welterklärungsmodellen. Glaubensfreiheit ist eben auch die Freiheit, nein zu sagen!
Allerdings gibt es eine Gruppe von Leuten, denen diese neue Entwicklung offensichtlich ziemlich große Angst bereitet. Interessanterweise finden sich darunter viele bestallte „Berufskatholiken“ (GemeindereferentInnen, PastoralreferentInnen etc.), denen halt auch aus materiellem Interesse an einer möglichst breiten Schicht von Kirchensteuerzahlern gelegen ist…
Das ungeteilte Bekenntnis zu Christus provozierte doch zu allen Zeiten und überall immensen Protest bis hin zu schweren Verfolgungen. Jesus hat uns das ja schon vorhergesagt.
„Die Bereitschaft zum Widerspruch und zum Widerstand gehört zweifellos zum Auftrag der Kirche. Wir haben gesehen, dass im Menschen immer auch die Tendenz da ist, sich dem ihm übergebenen Wort zu widersetzen, es sich bequem machen zu wollen, alleine darüber zu entscheiden, was für ihn gilt, indem er sich seine Ideologien formuliert, eine Herrschaft von Moden entwickelt, in denen sich die Menschen ihr Lebensmodell zurechtrichten.
(…)
Wir sehen darin, dass die Kirche diesen großen und wesentlichen Auftrag des Widerspruchs gegen die Moden, gegen die Macht des Faktischen, gegen die Diktatur von Ideologien hat. Gerade auch im vergangenen Jahrhundert musste sie angesichts der großen Diktaturen den Widerspruch aufrichten. Und heute leiden wir darunter, dass sie dabei zu wenig widersprochen hat, dass sie ihr Contradicitur nicht dramatisch und laut genug in die Welt hineingerufen hat. Gott sei Dank gibt es dann, wenn das Amt aus diplomatischen Rücksichten schwach wird, die Martyrer, die diesen Widerspruch an ihrem Leibe gleichsam durchleiden.“
Aus: Joseph Ratzinger Benedikt XVI, Gott und die Welt. Ein Gespräch mit Peter Seewald, 2. Aufl. 2005, 385 f.
Die Beharrlichkeit und Standhaftigkeit in ihrem Glauben zeichnete alle Martyrer während großer Verfolgungszeiten aus. Von „Trutzburgmentalität“ kann schlecht die Rede sein. Stattdessen fallen mir viele Situationen ein, wo Christen Widerstand gegen die herrschenden Ideologien leisteten und gerade dadurch wie ein Sauerteig die Gesellschaft durchwirkten und die große historische Wende herbeiführten (z.B. im alten Rom oder in der „DDR“).
Mir fällt heute bei sehr vielen Mitmenschen (vor allem auch im Internet) ein geradezu fanatischer Hass gegen die katholische Kirche auf. Mir fällt aber auch die große Unwissenheit und Unsicherheit dieser Leute über den Glauben der Kirche auf. Hier ist mehr Aufklärungsarbeit dringend nötig: Glaubenskurse für Erwachsene, fundierte Katechese etc, bevor es irgendwann zu spät ist…
Denn ich glaube schon, dass sehr viele Menschen den Glauben der Kirche teilen könnten, wenn sie ihn richtig kennenlernen würden. Nehmen Sie z.B. die katholische Sexuallehre. Ich bin überzeugt, dass sie zu einer menschlicher gelebten Sexualität dienen kann. Nur muss man sie auch überzeugend vermittelt bekommen – gegen das lautstarke Gekreische in den Massenmedien. Das ist mühsam, und da wären insbesondere die Theologen gefragt. Nur gibt es halt unter denen etliche, die dann bequemerweise mitkreischen und fordern, dass sich „endlich was bewegt.“ (Prof. K. Müller)
Die Forderung, es müsse sich „endlich was bewegen“ ist entlarvend. Wenn Dialog eingefordert wird, kann dieser ja jedenfalls nur ergebnisoffen sein. Tatsächlich wird aber schon seit Jahrzehnten immer wieder über dieselben alten Memoradumsthemen disputiert. Offenbar aber nicht mit dem gewünschten Ergebnis. Wie soll man also diese „Offenheit“ nun verstehen: offen nur den von ihnen favorisierten Ergebnissen gegenüber? Offen nur gegenüber den richtigen Personen (wozu wohl die Piusbrüdern nicht gehören…)??
Auf diese Weise ist ja schließlich das besagte Memorandum entstanden, dessen Dürftigkeit und dessen Mangel an Argumenten Prof. Müller erstaunlicherweise sogar selbst unumwunden einräumt. Wer etwas einfordert, steht in der argumentativen Bringschuld. Sein Fähnchen in den populistischen und opportunen Wind zu hängen entbindet halt nicht von dieser Bringschuld. Was alle schreien muss ja noch nicht wahr sein…
Liebe Grüße aus Ergoldsbach,
Sven