Die früheste Darstellung des gekreuzigten Christus ist eine Karikatur: die Spottzeichnung aus dem 3. Jahrhundert, zeigt einen Esel, der am Kreuz hängt. Darunter steht: »Alexamenos betet seinen Gott an«.
Christen selbst hingegen stellten Jesus erst ab dem 4. Jahrhundert als Gekreuzigten dar: und auch da nicht als zu Tode gemarterten, sondern als König am Kreuz, der auf dem Haupt nicht eine Dornenkrone, sondern einen goldenen Reif trägt.
Es ist nicht leicht, an einen Gekreuzigten als Erlöser zu glauben! Die Christen taten sich selbst schwer damit, das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz zu verstehen und zu deuten.
Heute ist es genauso schwer wie zu allen Zeiten.
Deshalb wiederholen sich die Spottzeichnungen: zum Beispiel 2009 in Marburg: ein Ferkel am Kreuz mit der Beschriftung: Jesus, du Opfer.
Deshalb wird das Kreuz als Darstellung der Gewalt verstanden und mit dieser Begründung manchmal aus Klassenzimmern verbannt. Kinder könnten darüber erschrecken – vielleicht, weil sie ganz natürlich reagieren.
Dennoch: Wer das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz ausblendet, verschließt die Augen davor, wie Jesus die Erlösung vollbrachte.
Eine unter den vielen Möglichkeiten, Jesu Kreuzestod zu deuten, eröffnet sein Ausruf: „Es ist vollbracht!“ – die letzten Worte Jesu Im Johannesevangelium.
Als er am Kreuz sein Leben aushauchte hat Jesus seine Sendung vollbracht,. Erinnern wir uns, was das Johannesevangelium über die Sendung Jesu sagt:
„Ich bin das Licht der Welt! Ich bin das Brot des Lebens! Ich bin der gute Hirt! Ich bin der Weinstock! Ich bin die Tür! Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben! Ich bin die Auferstehung und das Leben!“
Diese Ich-bin Worte beschreiben, wer Jesus ist und wozu er in die Welt gekommen ist. Am Kreuz ruft er aus: „Es ist vollbracht!“
Jetzt, da scheinbar sein Lebenslicht erlischt, wird er zum Licht, das alle erleuchtet.
Jetzt ist er das Brot, das ewiges Leben schenkt.
Jetzt ist er der gute Hirt, der sein Leben für die Schafe gibt.
Jetzt ist er der Weinstock, mit dem verbunden wir reiche Frucht bringen.
Jetzt ist er die Tür zum ewigen Leben.
Jetzt ist er der Weg, der zum Leben führt.
Jetzt ist er für alle, die glauben, zur Auferstehung, zum Leben geworden.
Um diese Sendung zu erfüllen, um sein Werk zu vollbringen, ging er diesen Weg.
Was hat ihn dazu bewegt? Ich bin überzeugt, eine doppelte Liebe hat ihn diesen Weg gehen lassen:
Die Liebe zum Gott Israels, zu seinem himmlischen Vater.
Er wollte dieser Liebe immer und rückhaltlos vertrauen und deshalb selbst aus Liebe handeln.
Und: Jesus hat die Menschen auf diesen Weg der Liebe eingeladen.
Wenn nämlich die Menschen an die Liebe Gottes glauben, der Vergebung und ewiges Leben schenkt, sie also vom Bösen befreit, dann werden sie bereit, selbst aus Liebe zu handeln.
So sehr er seinen Vater im Himmel liebte, so sehr liebte er auch die Menschen. Die Liebe zum Vater und die Liebe zum Menschen sind für ihn ein und dasselbe. Darin wusste er sich ganz eins mit dem Vater.
Hätte er den Kelch nicht getrunken, wäre er seinem Vater, den Menschen und seiner Liebe untreu geworden. Er ging diesen Weg aus Liebe und ‑ wenn sie wollen ‑ auch aus Gehorsam. Und das ist genauso wichtig: er ging den Weg in Freiheit. Er gab sich selbst hin für die Menschen. In ihm – so haben wir Christen erkannt ‑ hat Gott sich selbst hingegeben für uns, damit wir fähig werden, uns füreinander hinzugeben, weil die Liebe das Leben ist. Oder umgekehrt?