16. Oktober 2011: Kirchweihfest

Sicher ist die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens wichtiger als die Kirche aus Stein. Wichtiger ist, wie Kirche lebt, als wie ihre Gebäude gestaltet sind. Also möchte ich heute an Kirchweih über uns predigen. Über unser Leben in einer Gesellschaft, in der die Kirche nicht mehr alleine das Sagen hat.

Benedikt XVI prangert den Relativismus in der Gesellschaft und warnt die Kirche davor. In Stil und Argumenten betont er die bleibenden Wahrheit.
Zu gleicher Zeit fordern viele, die Kirche solle mehr mit der Zeit gehen: sie soll sich mehr auf die moderne Gesellschaft einlassen; sie soll alte – veraltete – Regeln und Überzeugungen ändern.

Im Evangelium geht es heute auch um die Frage, wie sich Religion und Gesellschaft und Staat zueinander verhalten. Die kaiserliche Steuer war ein Reizthema: Würde Jesus wie die Aufständischen den römischen Besatzern die Steuer verweigern? Oder würde er opportunistisch antworten – als Kol­la­borateur der Römer?  – „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört!“

In Deutschland, in Bayern sind bei weitem nicht mehr alle Bürger Christen und der christlichen Ethik verpflichtet. Damit entsteht die Frage, wie wir als Christen, als Kirche uns in diesem Staat einbringen, wie wir unsere Beziehungen zu diesem Staat regeln. Und wir müssen diese Frage stellen und bedenken.
Es gibt die großen politischen Fragen, die neuerdings durch eine Bemerkung Benedikts XVI. wieder neu besprochen werden: Kirchensteuer, Religionsunterricht an staatl. Schulen, staatliche Gelder für die kirchlichen Aktivitäten im Sozialsystem …

Dass die Wertvorstellungen der kath. Kirche heute nicht mehr­heitsfähig sind, wird immer wieder deutlich: Und dass die Mehrheit der Menschen andere Werte hat, oder auch weniger, ist offensichtlich:
Eingetragene Lebenspartnerschaft für Homosexuelle, Straffreie Abtreibung, Vorrang der Arbeit und des Menschen vor dem Kapital; extrakorporale Befruchtung, Präimplantationsdiagnostik …

Nun ist zum Beispiel die Präimplantationsdiagnostik vom Bundes­tag in engen Grenzen freigegeben worden – nach langen und sehr ernsthaften Debatten.

Als Christ denke ich aber selbst darüber nach: und möglicherweise fällt meine Entscheidung vom Glauben her anders aus.
Ich erwarte nicht, dass der Staat in ethischen und moralischen Fragen die Empfehlungen der Kirche übernimmt. Wir sind ja nur eine Gruppe unter anderen.
Umso mehr stehe ich vor der Herausforderung, mir ein eigenes vom christlichen Glauben geprägtes Urteil zu bilden.

Wir Katholiken haben gelernt, dass die Kirche der Pluralen Gesellschaft ihre Vorstellungen nicht aufzwingen kann – ja seit Jahrzehnten wird dies abgelehnt – und jeder Versuch als Anmaßung des katholischen Dogmatismus zurückgewiesen.
Nun dürfen wir wieder etwas lernen: Wir Christen haben andere Werte und andere Werturteile als andere. „Abtreibung kann für uns keine verantwort­liche Lösung sein bei einer unerwünschten Schwangerschaft.“ Deshalb bin ich allen dankbar, die als katho­lische Christen in der Beratungsarbeit versuchen, die werdenden Mütter und Väter zu einem „Ja“ für das Kind zu ermutigen.

Wir leben in einer Gesell­schaft, in der es noch viele Spuren einer Vergangenheit gibt, in der man die Werte selbstverständlich von der Kirche bezog. Auch heute gewährt und die Gesellschaft, der Staat enorme Rechte und Vergünstigungen. Umso mehr sind wir gefordert, uns in und für diesen Staat zu engagieren. Zugleich dürfen wir als Minderheit in dieser Gesellschaft unseren eigenen Weg suchen in den vielen ethischen Herausforderungen, die das Leben stellt.

Orientierung gibt uns vor allem und zuerst die Heilige Schrift. Unsere Vernunft versucht Antworten zu finden, die mit unserem christlichen Glauben im Einklang stehen, damit wir Gott geben, was Gott gehört – damit die Liebe zum anderen der Maßstab für all unser Handeln sei.

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