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Liebe Schwestern und Brüder
Es ist ein geflügeltes Wort geworden, das Michail Gorbatschow vor 25 Jahren in den Mund gelegt wurde: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“
Ich möchte diesen Satz aber nicht als Motto wählen – auch wenn er zunächst eine ganz alltägliche Erfahrung beschreibt:
Wer die Entwicklungen verpasst, an dem zieht das Leben vorbei und er hat das Nachsehen und viele Nachteile:
Das System der DDR konnte sich nicht verändern und auf die Entwicklungen in seiner Gesellschaft reagieren – und es verschwand!
Aber dieser Satz ist zugleich gnadenlos:
Kein Busfahrer würde mehr an der Haltestelle ein paar Augenblicke warten, bis der heraneilende Passagier gerade noch hereinhüpfen kann.
Deswegen ist er meiner Meinung nicht geeignet als Norm für das Miteinander der Menschen.
Das heutige Evangelium beschreibt genau das Gegenteil:
Nicht nur in der Frühe, auch spät am Vormittag und sogar erst kurz vor Feierabend wurden die Arbeiter angeworben – und nicht bestraft dafür, sondern erhielten das, was sie zum Leben brauchten – und zwar noch vor den anderen, die den ganzen Tag die Gluthitze des Tages ertragen hatten.
Wir dürfen da schon Verständnis haben für deren Entrüstung, die wir in ähnlichen Situationen durchaus kennen:
Da zieht jemand neu in das Haus ein – und genießt von Anfang an die Sympathie aller im Haus und wird gefragt, wenn es etwas zu regeln gibt.
Da kommt jemand neu in die Firma und wird sofort denen gleich gestellt, die schon lange dabei sind.
Sollten nicht die, die neu dazu kommen, sich erst mal hinten anstellen und sich anpassen und einfügen, statt gleich in der ersten Reihe zu stehen?
Das weckt Neid und Eifersucht.
Liebe Schwestern und Brüder, ist es aber nicht auch so, dass jeder – auch und gerade der zuletzt dazu kommt – die Gemeinschaft bereichert?
Sollte nicht der Letzte genauso ernst genommen werden, wie der letzte?
Es wäre doch ungerecht zu sagen: Weil du neu bist, hast du hier nichts zu sagen. Wer könnte sich da willkommen fühlen?
Liebe Schwestern und Brüder, dieses Gleichnis über das Himmelreich lehrt mich zweierlei:
Zum einen, dass die Türe nie verschlossen wird: Jesus hat es vorgelebt:
Er hat die in sein Reich berufen, die als Zöllner und Sünder überall ausgeschlossen waren.
Es gibt bei Gott kein zu spät – vielmehr kann jeder seine Einladung zu jeder Zeit annehmen – solange er lebt.
Und deshalb sollten auch wir uns freuen über jeden, der mit uns leben will und zu uns gehören will:
Und zweitens:
In den Fragen, die demnächst von der Weltbischofssynode diskutiert werden heißt das für mich: Wir dürfen nicht sagen: dein Leben war verkehrt – jetzt ist die Tür geschlossen. Du hast keinen Platz am Tisch des Herrn.
Wir sollten vielmehr jeden, der zu uns kommt und mit uns leben will willkommen heißen und uns freuen, dass wir nun mit ihm das Brot teilen können.
Jesus hat die Menschen nicht festgelegt auf ihre Vergangenheit – er hat ihnen eine neue Zukunft eröffnet – und wir, seine Kirche, sollten das gleiche tun: wenn Menschen zu uns kommen, wenn sie auf der Suche nach Gott sind, dann sollen wir sie froh und dankbar aufnehmen – und sie nicht in die letzte Reihe schicken.