Liebe Schwestern und Brüder,
Oft schon haben wir das Begräbnis eine Menschen miterlebt.
Ich erlebe die Bestattung des Verstorbenen als eine wichtige Zäsur:
der Abschied ist vollzogen. Der Vorgang ist an sein Ziel gekommen.
Die Aufregung legt sich und man wird ruhiger ‑ auch wenn der längere Teil der Trauerarbeit erst noch kommt.
So ähnlich empfinde ich auch jetzt, da ich gehört habe: „Sie setzten Jesus dort bei!“ Die schrecklichen Qualen, die Jesus zugefügt wurden, sind nun zu Ende. Er hat es geschafft. Es ist vorbei. Es kehrt ein wenig Ruhe ein.
Die Ruhe lässt einem Zeit, um Nachzudenken:
Sofort aber stehen wieder die Bilder vor Augen, weil sie noch so frisch sind: die Geschichte von Verrat, im Stich gelassen werden, mit Lügen konfrontiert werden, wehrlos ausgeliefert sein, die Folter, die Demütigungen, die unerträglichen Qualen, die brutale Gewalt.
Schwestern und Brüder, das gibt es jeden Tag in dieser Welt. Es gehört zur alltäglichen menschlichen Erfahrung. –
Auch wenn wir uns eine heile Welt wünschen und alles Mögliche unternehmen, um das Leben möglichst „perfekt“ zu gestalten und zu organisieren: Dabei haben wir in unserer Weltgegend beachtliches erreicht: Wer mit 70 Jahren stirbt, gilt bei uns noch als jung.
Wer sich Kinder wünscht, kann sie auf irgendeine Weise bekommen; wer keine will, kann es verhindern.
Selbst die bei uns als arm gelten, haben mehr als viele andere Menschen in der Welt. Was immer sich jemand wünscht, gibt es zu kaufen.
Wir versuchen das Paradies auf Erden herzustellen.
Doch ganz funktioniert es nicht: Manchmal ereilt uns ein Schrecken: die Natur spielt uns einen Streich oder die Technik versagt oder Menschen leben ihre Aggression aus und richten Unheil an oder das wohltemperierte Gleichgewicht von Finanzen und Wirtschaft gerät aus den Fugen.
Dann sind wir wieder auf dem Boden der Realität: diese Welt ist nicht und wird niemals das Paradies: Zu dieser Welt gehört der Tod!
Zu dieser Welt gehört die Gewalt, die Natur und Menschen verüben!
Und wenn wir genau überlegen hat unser fast paradiesischer Zustand in Mitteleuropa viel zu tun mit dem Elend in anderen Gegenden der Welt.
Heute ganz besonders, aber nicht nur heute, erinnern wir uns daran, dass Jesus Christus durch Unrecht und Gewalt getötet wurde. Damit stellen wir uns der Realität. Wir stellen uns der Herausforderung, wie wir mit Tod und Elend leben und dennoch an das Gute glauben können: daran, dass der gute Gott diese Erde aus Liebe erschuf und ihr deshalb auch Zukunft gibt.
Wie können wir inmitten von Unrecht und Gewalt an das Gute glauben?
Ich möchte fast sagen: wenn wir uns nicht zu Dienern des Todes machen wollen, bleibt uns nichts anderes übrig. Denn nur wenn wir an das Gute glauben, nur wenn wir an das Leben und seine Zukunft glauben, nur dann haben wir die Kraft, der Gewalt und dem Unrecht zu widerstehen, die den Tod bringen.
Jesus Christus, der gelitten hat, ist der Grund, warum wir an das Gute und an das Leben glauben können: Er lebte ganz aus dem Vertrauen auf den himmlischen Vater und seine treue Liebe.
In seinem Leiden wurde er auf die Probe gestellt bis hin zu dem Klageruf: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Sein Vertrauen war stärker als die Angst, der Zweifel und der Schmerz. Er ist der Versuchung nicht erlegen: der Versuchung, sich aus der Schlinge zu ziehen, sich davon zu stehlen oder gar zurück zu schlagen.
Er hielt fest an seinem Vertrauen bis zum Gebet: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. So hat er gezeigt: mitten im Schrecken der Welt kann man an das Gute und an den guten Gott glauben. In diesen Tagen feiern wir es: Gott hat ihn nicht im Stich gelassen. Sao ist Christus uns zum Erlöser geworden, der uns das Paradies aufgeschlossen hat.
Da wir aber an Christus glauben, der der Versuchung widerstand, haben wir zu Gewalt und Unrecht ein eindeutiges Verhältnis: Wir dürfen weder Gewalt noch Unrecht verüben, sondern müssen diese beiden Geißeln der Menschen, die den Tod bringen, in uns überwinden. Gewalt und Unrecht sollen in unserem Handeln keine Chance haben.