27.03.2022: 4. Fastensonntag

Ansprache: Ich selbst mag das Gleichnis vom barmherzigen Vater und seinen beiden verlorenen Söhnen sehr gern und halte es für eines der wichtigsten Lehrstücke Jesu. Ich weiß aber, dass es auch kritische Fragen gibt:

Ist der barmherzig genannte Vater wirklich so ideal?

Das ist die Frage des älteren Sohnes in der Geschichte: Er fühlt sich ungerecht behandelt und macht dem Vater den Vorwurf: „Mir hast niemals auch nur einen Ziegenbock geschenkt – obwohl ich mich immer an alles gehalten habe, was du wolltest“.

Ohne Zweifel liegt in dem Verhalten des Vaters eine Provokation.
Diese überschwängliche Reaktion, als der jüngere Sohn zurückkehrt, der auf schäbige Weise sein Erbe verschleudert hat, ist ein Ärgernis.

Wahrscheinlich fällt es vielen nicht schwer, Beispiele im eigenen Erfahrungsbereich zu suchen, wo man sich ebenso empören würde.

Die überschwängliche Freude ist ja nicht das einzige:
kein mahnendes Wort, nicht einmal ein Wort der Verzeihung – im Gegenteil: Er wird sofort wieder mit allen Zeichen in die Sohnschaft eingesetzt.

Aber ich möchte alle, besonders die unter uns, die sich mit dem älteren Sohn identifizieren, bitten, den folgenden Gedankenweg mitzugehen:

Denken wir zuerst an den Ausgangspunkt, warum Jesus diese Gleichnisgeschichte erzählt:

Zöllner und Sünder kommen zu Jesus. Sie wollen ihn hören.
Und Jesus scheint sogar mit ihnen zu essen: das heißt: er macht sich mit ihnen gemein. Er hält keine Distanz. Dabei wird man im jüdischen Denken selbst unrein, wenn man mit Sündern zusammen isst.

„Sage mir, ….“

Untergräbt Jesus damit nicht die Bemühungen der Pharisäer: sie befolgen erstens selbst alle Gebote gewissenhaft und vor allem: sie lehren auch das Volk. Sie setzen Kraft und Mühe und Überzeugungskunst ein, damit das Volk die Gebote achtet und hält.

Arbeitet er dem Bemühen der Schriftgelehrten entgegen?

Jesus will den Pharisäern sein Verhalten erklären – so wie in der Geschichte der Vater zu dem älteren Sohn hinausgeht und versucht, ihn zurückzugewinnen.

Was er erklären möchte ist seine Lehre: „Im Himmel herrscht mehr Freude über einen Sünder, der umkehrt als über 99 Gerechte, die die Umkehr nicht nötig haben.“ Diesen Satz hat die Leseordnung leider weggeschnitten.

In erster Linie geht es also nicht um eine Anweisung zum Verhalten von Vätern mit ungehorsamen Söhnen. In erster Linie geht es um Himmlisches, um Göttliches.

Man muss also nicht überlegen, ob der Vater das Erbe des älteren Sohnes nochmal schmälert. Das Heil, das Glück des Himmels ist unendlich – es ist unerschöpflich. Wer im Himmel ist, ist ganz im Himmel und das gilt für jeden und alle.

Und deshalb ist es im Himmel ein Fest, wenn einer, der Gott den Rücken gekehrt hatte, sich Gott zuwendet. Wenn einer der der Selbstsucht, dem Stolz, der Habsucht, der Machtgier nachlief, wenn so ein Mensch tatsächlich merkt: Ich bin auf dem falschen Weg. Dieser Weg führt mich in den Abgrund, da bleibt nichts übrig. Dann ist einer gewonnen für das Leben, für das Glück des Himmels. Er ist dem Tod von der Schippe gesprungen. Das ist doch wirklich ein Fest für Gott, der doch allen Geschöpfen sein Heil schenken will.

Weil das so ist, gibt sich der Vater auch mit dem älteren Sohn so viel Mühe. Er geht ihm genauso entgegen und wird sich genauso sehr freuen, wenn der das Fest mitfeiert und die Freude des Vaters teilen kann. Wenn er sich freut, dass er seinen Bruder wiedergewonnen hat.

Ich bin froh, dass mich der Vater immer wieder aufnimmt. Ich bin froh, dass er mich nicht ins Katzenhaus schickt, sondern mir seine ganze Fülle und sein ganzes Glück schenkt. Denn verdienen täte ich es nie.