Hier geht es zu den Texten der Liturgie: 
Nicht nur hier, sondern in allen vier Evangelien werden Szenen geschildert, in denen Jesus heftige Gefühle und Gefühlsausbrüche zeigt: Er war voll Zorn über das Unverständnis der Menschen, heißt es. Die Evangelien erzählen alle, jedes auf seine Weise, wie Jesus die religiöse Führungsschicht angriff – und zwar in schärfster Weise – und so ihre Feindschaft auf sich zog.
So auch hier: Jesus randaliert im Tempel. Man müsste sich nicht wundern, wenn er gefesselt und abgeführt würde.
Den Vorwurf: „Ihr macht aus dem Haus meines Vaters eine Markthalle“ wird Jesus kaum im ruhigen, sanften Plauderton geäußert haben. Und auch nicht die Äußerung: „Ich kann in drei Tagen den Tempel wiederherstellen.“
Aber diesen Hinweis auf seine Auferstehung können die angesprochenen natürlich nicht verstehen.
Ihr macht das Haus meines Vaters zu einer Markthalle! Ihr macht Geschäfte mit dem Namen meines Vaters. Ihr benützt ihn, um euch zu bereichern! Ihr verstoßt gegen das zweite Gebot: Ihr missbraucht den Namen des Herrn unseres Gottes für Eure Zwecke!
Liebe Schwestern und Brüder,
ich nehme diese Szene zum Anlass in die Gegenwart zu schauen: Wie wird heute gegen dieses Gebot verstoßen?
In welcher Weise wird heute der Namen Gottes mehr verzweckt, als dass er geehrt wird.
Als erstes muss ich natürlich in mein eigenes Haus schauen: Mein Beruf als Pfarrer, als Leiter einer Gemeinde und professioneller Verkünder und Liturge ermöglicht mir ein gutes Leben: sowohl die finanzielle Ausstattung als auch die Lebensbedingungen und das Ansehen zumindest in der kirchlichen Gemeinde sind sehr angenehm. Auch die Vielfältigkeit der Aufgaben ist interessant. Es ist tatsächlich keine schlechte Wahl in der röm.kath. Kirche Pfarrer zu sein.
Die Versuchung besteht, dass im Lauf der Jahre die ursprüngliche Motivation, die frohe Botschaft zu verkünden durch die gediegene Bürgerlichkeit untergraben wird. Dass der Beruf eher Grundlage für dieses Leben wird und die Berufung in den Hintergrund tritt.
Ich schau aber auch auf meine Kirche, besonders auf die Bischöfe, denen die Leitung der Kirche anvertraut ist: Sie bemühen sich sehr darum, die bestehenden Strukturen aufrecht zu erhalten und zu stärken:
Vom Zölibatsgesetz bis zum Ausschluss der Frauen vom Priesteramt, von der eucharistischen Trennung unserer Schwesterkirchen bis hin zu den Eheleuten, die nach einer Scheidung noch einmal heiraten und denen die Kommunion, die Mahlgemeinschaft in der gemeinde und damit mit Christus verweigert wird.
Die Versuchung ist groß, die in zwei Jahrtausenden entwickelten Regeln und Gesetze als göttlich zu bezeichnen, um die eigene Stellung in dieser großen Organisation „Kirche“ zu verteidigen.
Ich schau auch auf die ganze Gesellschaft, die sich als weltlich versteht und in der Religion Privatsache ist. Was hat sie mit dem 2. Gebot zu tun?
Diese Gesellschaft hat die ganze Welt zur Markthalle erklärt: Der Urwald um den Amazonas wird vermarktet, die Gesundheit der Kinder in Afrika wird dem Gewinn der Bergbaufirmen geopfert, beim Transport des Erdöls kommt es immer wieder zu Unfällen, die zuerst Fischen, Vögeln und Pflanzen das Leben kosten. Verfeindete Gruppen töten sich gegenseitig, statt ihre Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen – die Nutznießer sind die Verkäufer der Waffen.
In den Verfassungen der demokratischen Staaten steht zwar, dass die Würde des Menschen nicht verletzt werden darf. Doch unsere Unternehmen und auch unsere Politik gestehen nicht allen Menschen die gleiche Würde zu: Viele zahlen den Preis für unsere Überheblichkeit: In den Textilfabriken Asiens, in den Minen Südamerikas, in den Treibhäusern Spaniens, in den Ländern, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind.
Wir Menschen machen das Haus Gottes, diese Welt, seine Schöpfung, zu einer Markthalle. Sogar der Wert eines Menschen wird daran gemessen, was er zum Bruttosozialprodukt beiträgt.
Die Menschheit steht vor einer großen Aufgabe und sie muss diese Aufgabe bewältigen: Die Menschheit muss sich so organisieren, dass die Würde jedes Menschen und sein Wohl der oberste Wert ist, weil er Gottes Ebenbild ist. Und wir? Glauben wir an Gottes Treue und daran, dass er jeden Menschen liebt und zum Heil führt? Helfen wir dabei? Suchen wir danach, was anders – besser – geht?
