Theaterpredigt über die Komödie „Der nackte Wahnsinn“

S          cheitern im

C         hor erzeugt

H         eiterkeit in der Mitwelt

E          ntsetzlich für den Scheiternden

I           solation und Einsamkeit

T          ränen je nach Eigenart des Scheiternden

E          nde alles aus

R         uinen aus denen doch ein

N         euanfang entstehen kann.

Ich will über Scheitern sprechen
Gedanken, kluge, zusammensetzen
sie sollten jetzt vorhanden sein
vielleicht haben sie ein Stell dich ein
gerade heut in meinem Hirn
sonst zum Scheitern ich verurteilt bin.

Liebe Zuhörende,
können Sie sich erinnern, wenigstens an drei Mal, wo sie gescheitert sind?
An einem Sudoku vielleicht oder einem Kreuzworträtsel?
Oder bei dem Versuch ein Instrument zu erlernen?
Manchmal ist es auch nur ein neues Marmeladenglas, das sich partout nicht öffnen lässt,
oder der Nagel, der nicht in die Wand will – statt dessen entsteht ein großes Loch im Wandputz.

Im Internet gibt es Fotoserien von missglückten Gala Roben,
im Privatfernsehen eine Serie mit Filmen von den lustigsten Missgeschicken.

Man amüsiert sich gern darüber.
Wer den Schaden hat – braucht für den Spott nicht zu sorgen!

Dick und Doof, der Zirkusclown – usw. Sie bringen uns zum Lachen durch ihre gespielte Ungeschicklichkeit, die übertreibt, dreimal übertreibt
und mit komischen Grimassen garniert,
was eigentlich jeden Tag irgendjemand passiert.

Vielleicht versöhnt es uns mit unseren eigenen Unzuläng­lichkeiten, wenn wir auf diese Weise darüber lachen können.

Das eben erwähnte ist alles nicht so tragisch.

Aber – vielleicht erinnern sie sich auch daran – ich wünsch es ihnen nicht:
man kann auch bei wichtigeren Dingen scheitern:
Als Ensemble an der Aufführung,
als Kletterer am Berg,
als Fahrschüler an der Führerscheinprüfung,
als Gymnasiast am Klassenziel,
beim Versuch die Sucht zu überwinden.
Im krassesten Fall, ,spricht man von einer gescheiterten Existenz.

Vor unserem Auge– dem Auge wohlsituierter Bürger – mit festem Einkommen und gemütlicher oder eleganter Wohnung – je nach Geschmack – stehen nun Junkies, verwahrlost und mit Alkoholgeruch, Menschen, die auf der Straße leben,
die irgendwie und wer weiß warum, Schiffbruch erlitten haben; gescheiterte Existenzen – eben.

Dient dieses Bild vielleicht nur dazu, uns von unserem eigenen Scheitern abzulenken?

Hatten wir nicht größere Ziele?
Wollten wir nicht einen neuen Lebensstil,
weniger „Haben“ und mehr Sein?
War es wirklich unser Traum, so angepasst zu sein,
abends den Fernseher einzuschalten oder am PC zu spielen?

Hat man sich nicht die eine große Liebe vorgestellt,
und dass man immer mehr zusammenwächst,
dass man den anderen unterstützt und Freiraum lässt,
und alles miteinander teilt – besonders die geheimsten Gedanken?
Hat man nicht sehr früh angefangen, etwas zu denken, was man dem anderen nicht hätte sagen wollen oder können?
Ist so nicht die eigene Welt entstanden, an der der Partner keinen Anteil hat?

Welches Scheitern verbirgt sich hinter dem anscheinend so gelungenem Lebenslauf?
Unter jedem Dach gibt es ein Ach!

Ist man deswegen ein schlechterer Mensch? Muss man sich dafür schämen?
Muss man das verbergen? – Kann das gelingen?

Man tut so, als ob! Das braucht niemand zu merken
Man will nicht zum Gespött der Leute werden.
Aber hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich ….

Diese Widersprüchlichkeit hat leider unsere Gesellschaft befallen:

In Fernsehdiskussionen sagen Politiker öfter mal;
„Wir müssen uns ehrlich machen“ – Also ist scheinbar Unehrlichkeit im Spiel? Weil jeder eben nur die Fakten zitiert, die für seine These sprechen.

Diskutieren die wirklich, wie man diskutieren soll: Versuchen sie ein Problem zu klären, eine Lösung zu finden und die verschiedensten Argumente dabei zu berücksichtigen?
Oder diskutieren sie nur, um sich zu behaupten, so dass die Gegenseite „alt“ ausschaut.

Geht es wirklich um Probleme und ihre Lösung oder um Interessen und wie man sie durchsetzen kann?

Als konkretes Beispiel dient mir
das Problem der Millionen Menschen auf der Flucht, über 200000 davon in unser Land.
Man will den Zustrom durch strengere Gesetze begrenzen.
Zugleich verringert man die Mittel für humanitären Zahlungen z.B: an Flüchtlings­lager in Afrika um 1/3. So entsteht neue Not, die wiederum zu mehr Flüchtlingen führt.

Geht es um das Stück oder geht es um die „Flasche Schnaps“, die verzweifelt gesucht und versteckt wird?

Es werden viele schöne Worte gemacht,
die verschleiern, welche Grausamkeit sich dahinter verbirgt.

Steht unsere Gesellschaft, unser Gemeinwesen vielleicht vor dem komischen Scheitern im nackten Wahnsinn:

Es wird über die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung gesprochen – aber es gibt oft noch gar kein schnelles Internet, auch weil sich Bürger gegen die Sendemasten wehren.

In der Grundschule werden zwar Tablets eingesetzt, doch viel zu viele Kinder verstehen nicht mehr, was sie lesen.

Es werden Milliarden Subventionen in die Industrie gepumpt und zugleich kann über die Hälfte der Bevölkerung von ihrem geringen Einkommen nichts mehr für das Alter sparen.

In der Grundschule werden Kinder zu Streitschlichtern ausgebildet während andere oder auch die gleichen von ihren Eltern Handyspiele bekommen, wo es darum geht, möglichst viele Feinde zu töten.

Die Bischöfe tun immer noch als handelten sie makellos und seien quasi Gottes rechte Hand und weigern sich zu erkennen, wie große Löcher in den roten Soutanen klaffen. Sie halten fest am Feierton, an salbungsvoller Welter­klärungssprache, statt zu Jesus, zu den Menschen umzukehren und ihnen Hoffnung zu geben, dass sie die Welt zum Besseren wenden können.

Der nackte Wahnsinn ist unser täglicher Begleiter.

Ich wurde als kath. Pfarrer hierher eingeladen und will als solcher die Frage stellen:

Da Gott die Wahrheit ist
und uns Menschen durch und durch kennt,
wenn er dank seines Wissens
unser aller „So tun als ob“ zum Vorschein brächte:
und verfügte, dass jeder, der irgendwie nur so tut als ob, langsam an die Decke schwebte – wer würde noch am Boden bleiben?

Wie kommt es eigentlich zum Scheitern? Warum gelingt es uns nicht, dass Schein und Sein dasselbe sind?

Gerard Voss, der Einbrecher braucht den Schnaps –
Es gibt so viele Abhängigkeiten und Anhänglichkeiten.
Darauf wollen und können wir nicht verzichten.
Das wollen wir unbedingt. Egal – es muss sein.
Koste es, was es wolle.

Liebschaften –
haben schon manchen Lebensweg durcheinander oder in eine ganz andere Richtung gebracht – heimliche Liebschaften erfordern ein hohes Maß an „So tun als ob“ die Welt in Ordnung sei.

Aus Neid und Eifersucht ‑
bringen Menschen absichtlich durcheinander, stören, stellen alles in Frage, lösen Chaos aus – zum Schaden für die Beneideten und für die Neider selbst.

Wenn wir überfordert sind,
haben wir kaum eine Chance. Mission Impossible – das ist woran man eigentlich nur Scheitern kann! Wenn der Erfolgsdruck groß ist – was will man anderes tun, als so zu tun als ob der Job gut läuft?

Es bleiben mir noch zwei Aspekte:

Kennen sie die Angst vor dem Scheitern?
Als Pfarrer ist eine meiner skurilsten Ängste mich in der Messe am Wein zu verschlucken und reflexhaft auszuspucken – oder auch nur einen Schluckauf während der Predigt zu bekommen.

Schauspieler haben – vermutlich – Angst, den Text zu vergessen,
Autofahrer davor, zu schnell in die Kurve zu fahren und zu verunglücken.
Was ist ihr Alptraum vom nackten Wahnsinn, vom totalen Scheitern?

Und warum fällt es uns eigentlich so schwer, unser Scheitern zuzugeben und zu zeigen, statt es zu verbergen?

Es ist die Angst vor dem Gelächter. Vor dem Hohn, vor der Verachtung, vor dem Urteil der Meute.

Haben wir dabei nicht eigentlich vor uns selber Angst?
Weil wir mit dem Gescheiterten unbarmherzig sind?
Weil wir hart urteilen? Weil wir uns amüsieren?
Und so denken wir, die anderen sind genauso unbarmherzig wie ich selbst.

Oder ist es die Erfahrung, die wir gesammelt haben,
dass wer scheitert mit Spott und Verachtung überzogen wird?

Ich will wieder als Pfarrer, als Glaubender, sprechen:
Gott ist die Wahrheit – sagte ich. Vor ihm sich zu verstellen geht gar nicht – vielleicht kann ich mich vor mir selbst verstellen – sicher nicht vor Gott.

Aber – so lehrt es nicht erst Jesus, sondern auch schon der Glaube des Volkes Israel und später auch der Glaube Muhammads –
Gott ist barmherzig!

Er lässt uns nicht unter die Decke schweben – und wenn, dann lässt er uns auch wieder auf den Boden runter. Gott genießt nicht unsere Blamage, er freut sich nicht an unserem Scheitern, sondern wenn es uns gelingt unsere Menschlichkeit zu entwickeln und zu leben.

Dieser Zweiklang, dass es eh nicht geht, Gott etwas vorzumachen und dass Gott barmherzig ist, dieser Zweiklang erlaubt es, mit dem (teilweisen) Scheitern, das zum Leben eines jeden gehört, Frieden zu schließen.

Gott ist kein schadenfrohes Publikum, das in Gelächter ausbricht,
Gott ist kein gnadenloser Kritiker, der jede Schwäche aufspießt und – wenn er will – eine Aufführung völlig zerreißt.

Wir brauchen die Katastrophe nicht endlos weiterführen.
Wir dürfen das Scheitern zulassen, bevor wir bei dem Versuch es zu verbergen, wahnsinnig werden und einen Sardinenteller als die Lösung unserer Probleme sehen.

Vielmehr bietet uns das Leben die Chance, auf dem Weg weiterzugehen oder einen neuen zu beginnen.
Wenn wir jeden Tag versuchen, dem Schnaps, dem Neid, der Eifersucht, dem viel zu großen Ziel zu widerstehen und einfach richtig zu handeln,
dann wird die Welt nicht über uns zusammenbrechen wie ein Bühnenvorhang an morschen Seilen. Wir werden sie vielmehr zum Ort Machen, in dem die Barmherzigkeit miteinander die Wahrheit möglich macht.

Vor dem Scheitern keine Angst,
die Blamage geht vorüber.
Wenn nur das Herz in Ordnung bleibt,
und sich am Guten und am Schönen freut,
kann sich der Wahnsinn nicht ausbreiten,
sondern das Leben lebt in der Erde Weiten.