Leben im gesegneten Alter
O: Vorpann
Hey Alter!
Vor einiger Zeit haben sich junge Burschen gerne so gegrüßt!
Wenn Frauen und Männer etwas grob von ihrem Alten oder ihrer Alten sprechen – das habe ich mir erklären lassen – ist das eigentlich keine abwertende Redeweise: Es geht gar nicht um das Alter, sondern um ein sprachliches Überbleibsel aus der Römerzeit: „Altus“ heißt „hoch“
Wenn Frau von „ihrem Alten“ spricht, redet sie ihn als ihren „Hohen“ und umgekehrt der Mann von seiner „Hohen“. Ohne es zu wissen drücken sie somit hohe Wertschätzung für den anderen aus. So wie sie im kirchlichen Eheversprechen heißt: Ich will dich „ehren“ alle Tage meines Lebens.
Freundschaft ist das andere Thema –
die Freundschaft und das Alter, bzw. das Altern!
1 Wertvoll – Wertlos
Alt sein heißt übrigens wertvoll sein: Der älteste schwarze Einser – eine Briefmarke – wurde kürzlich für 440.000 € versteigert.
Alter Whisky, Rotwein und Käse sind besonders gut – jedenfalls bestimmte – und teuer.
Was ist wertvoll am Alter?
Es ist selten, es verbinden sich damit Erinnerungen,
Das Alter bringt den Whisky zur Reife. Die Gärungsprozesse sind längst vorbei, alles ist zur Ruhe gekommen, die Aromen sind voll entfaltet und wurden von der Umgebung (vom Holzfass) aufgenommen.
Alte Menschen sind heute nicht gerade eine Seltenheit – erst ab 100 vielleicht. Zur Ruhe kommen sie auch immer später – da gärt noch so manches und es ist einiges unausgegoren ‑ auch in einem Alter, das früher schon als gesegnet bezeichnet wurde.
Alt ist – das kennen wir – auch ein Schimpfwort oder wenigstens ein Synonym für wertlos:
Der alte Schrott (ob aus Metall oder Textil) ist zerschlissen, ausgeleiert, löchrig, geflickt, verrostet, verstaubt, funktioniert nicht mehr und ist mindestens völlig überholt.
Das alles will ich lebenserfahrenen Menschen nicht nachsagen – obwohl wir uns manchmal oder vielleicht auch immer öfter so fühlen mögen.
2. Einstellungen zum Alter
Menschen empfinden das älter werden ganz verschieden: das hängt viel vom erreichten Alter ab:
Bis 18 oder auch darüber hinaus ist es fast ausschließlich ein Fortschritt: Man lernt laufen, sprechen, und sich in der Welt zurecht zu finden. Man darf immer mehr und kann immer mehr und endlich darf man selbst entscheiden, ob man links oder rechts, vorwärts oder rückwärts gehen will.
(Man darf abends weggehen, Alkohol trinken, rauchen – und was man sonst besser lassen sollte.)
Alt sind für so junge Menschenkinder Leute wie Mama und Papa, irgendwie möchte man auch so werden. Oma und Opa – die sind richtig alt. Alte Menschen müssen sterben – das merken die Kinder und fragen manchmal auch: Oma, du bist doch schon alt – musst du bald sterben?
Danach, in der Rushhour des Lebens, ändert sich der Blick auf das Alter:
Die eigenen Eltern werden immer älter (wenn man Glück hat) und ja, sie sind nicht mehr so fit wie früher: Manchmal brauchen sie Hilfe: erst bloß beim Handy – dann beim Vorhang waschen – und dann immer öfter.
Und man selbst ist gerade so richtig mittendrin – und merkt: das Alter – also der 5er oder 6er rücken näher. Richtiger: Man selbst rückt diesen 10er Jubiläen immer näher. Man fängt an zu witzeln, dass man zum Lesen längere Arme bräuchte
Ab 65 lässt es sich nicht mehr ignorieren: älter werden heißt jetzt endgültig: Verluste erleiden: Haarausfall und nachlassende Libido sind nicht die gravierendsten Verluste.
Man fühlt sich ja noch ganz fit – aber am Treppenpodest bleibt man kurz stehen, weil man außer Puste ist – und entschuldigt es damit, dass man ein bisschen erkältet ist. Man denkt voraus und es wird einem klar: Seniorenheim, Demenz, Rollator, künstl. Hüftgelenk, Inkontinenz – das kann die eigene Zukunft sein.
„Gott sei Dank, bin ich schon so alt“ – sagen die befürchten, dass es mit der Menschheit nicht gut weitergeht.
„Ich möchte noch einmal 17 sein“ singen die, die ihrer Jugend nachtrauern und die noch gerne viel erleben möchten.
Knapp 200 Jahre3 vor dem Jahr 0 spricht das Buch Jesus Sirach über die Probleme des Alterns: 3,12: „Kind, nimm dich deines Vaters im Alter an / und kränke ihn nicht, solange er lebt!“
Sir 8,6: „Behandle einen Menschen in seinem Alter nicht verächtlich, / denn auch manche von uns werden altersschwach!“
3. Ansprüche im Alter und an die Alten
Unerlässlich sind die Hilfsmittel für älter gewordene:
Hörgeräte – sind heutzutage viel besser als früher. Brillen sowieso! Dank eines künstlichen Kniegelenks kann man sich schmerzfrei bewegen und vielleicht sogar wandern.
Solche Hilfsmittel helfen, die Einschränkungen möglichst gering zu halten. Aber genau das zeigt eben: der körperliche Verfall lässt sich nicht aufhalten und kommt – schneller oder langsamer.
Immerhin gibt es eine Erweiterung der Alltagsgespräche: Nicht mehr nur das Wetter und die Politik. Man spricht jetzt auch gerne über Wehwechen und Krankheiten und kann sich darüber austauschen, Tips geben, den anderen bedauern …
Ich kenn auch Leute, die sagen: Das ist doch normal, dass ich nicht mehr so gut höre – und möchten kein Hörgerät, das eh nur pfeift und auch keine neue Brille …
Die älteren werden ja noch gebraucht:
Auf die Enkel aufpassen. Das Haus hüten, während die jungen im Urlaub sind. Sogar am Arbeitsmarkt sind sie gefragt, weil es zu wenig Junge Leute gibt. ‑ Nachwuchsmangel –
Wir müssen nämlich feststellen, dass wir keine Nachfolger haben: Krankenschwestern, Steuerberater,
Servicekräfte im Supermarkt, Verkäuferinnen im Ladengeschäft, Ärzte, Lehrer – es gibt viel zu wenige!
Wer soll nun die Lebensälteren betreuen, behandeln, ihre Arbeit weiterführen.
Es ist nicht mehr zu ändern: Das hat etwas mit dem eigenen Verhalten zu tun: die Babyboomer hatten Sex zum Vergnügen, aber keine Lust, Nachwuchs zu zeugen.
Man hat den Auftrag der Nachkriegsgeneration angenommen: „Sorge dafür, dass der Wohlstand größer wird!“ – Anders als bei der vorherigen Generation ging es nicht um die eigenen Kindern, denen es besser gehen sollte. Sondern einem selbst!
Kinder sind da eher hinderlich! Kinder sind nicht der Reichtum der Eltern, sondern ein Armutsrisiko!
Jetzt werden die Babyboomer alt und müssen sich selber bedienen und pflegen und ihre SUV’s bauen und Häuser renovieren!
Wir werben um Menschen aus anderen Erdteilen, damit sie für uns arbeiten: – wir sollten ihnen dann aber nicht vorwerfen, dass sie anders aussehen, eine (andere Religion) haben und überhaupt ganz anders sind.
Wir sollten dankbar sein und dafür sorgen, dass sie gerne hier sind und bleiben.
Und selbst diejenigen, die sich hierher flüchten, weil es bei ihnen zuhause nicht auszuhalten ist ‑ kommen sie nicht gerade recht, um die Lücken zu schließen, die die Babyboomer hinterlassen?
Wäre es nicht besser zu sagen: Hör auf mit deinem Asylantrag: Hier – bau dir eine Wohnung und gewöhne dich bei uns ein. Bei uns gibt es Arbeit genug!
Gut dass du da bist!
Sollten wir den Bäckereiverkäufern und Ärztinnen aus dem Ausland nicht wöchentlich Blumen schenken, weil sie hier bei uns arbeiten. Sollten sie uns nicht sehr willkommen sein?
Zurück zum alt sein und alt werden:
Natürlich wollen Menschen gesund sein und etwas leisten können und aktiv sein können – je nachdem, was der einzelne gerne macht.
Es tut auch gut, noch gebraucht zu werden und Anerkennung zu erfahren:
Den Sauerbraten kann niemand so gut wie du, Oma.
Der Opa hat immer das richtige Werkzeug.
Der kann das.
Aber es bleibt ja nicht dabei:
Es wird einem gesagt, wie man im Alter zu sein hat:
Offen für neues und neue Hilfsmittel, sich nicht gehen lassen, ausgeglichen sein und in sich ruhen, unabhängig und selbständig, altersweise und entpannt.
Darf man mit 65 nicht einfach auf der Couch sitzen. – Und nichts. Ich sage nichts weiter als nur „auf der Couch sitzen“!
Ich protestiere dagegen, dass den Alten gesagt wird, wie sie zu sein haben, wie man sie gerne haben möchte. Es braucht keine Muster und Schablonen, denen die Alten entsprechen sollen!
Wer seine Ruhe möchte – hat er nicht das Recht dazu?
Der Wahn, dass man alles gestalten und aufpeppen muss, dass es für alles Leitbilder und Normen gibt,
soll nicht auch noch dem Alter übergestülpt werden! Wenigstens im Alter soll man endlich einmal einfach so sein dürfen, wie man ist – ganz ohne Selbst – Inszenierung.
4. Moral im Alter
Im Psalm 90 steht:
Du, Gott, warst schon, bevor die Erde entstand,
und du bleibst in alle Ewigkeit.
Du sagst zum Menschen: »Werde wieder Staub!«
So bringst du ihn dorthin zurück,
woher er gekommen ist.
Für dich sind tausend Jahre wie ein Tag,
so wie gestern – im Nu vergangen.
Die Menschen sind vergänglich wie das Gras:
Morgens noch grünt es und blüht,
am Abend schon ist es verwelkt.
Unser Leben, ist flüchtig wie ein Seufzer.
Siebzig Jahre sind uns zugemessen,
wenn es hochkommt, achtzig –
doch selbst die besten davon sind Mühe und Last!
Wie schnell ist alles vorbei und wir sind nicht mehr!
Unsere Tage zu zählen, lehre uns Herr.
Lass uns erkennen, wie kurz unser Leben ist,
damit wir zur Einsicht kommen!
‑‑‑‑‑‑‑
Inwiefern macht die Einsicht in die Begrenztheit unserer Lebenstage den Menschen weise?
Jedenfalls sind unsere Lebenstage kein unendliches Gut: Womit möchte ich sie füllen?
Was für ein Mensch möchte ich gewesen sein, wenn mein Leben zu Ende geht?
Im zunehmenden Alter wird es einem immer bewusster, dass die Tage vor einem weniger sind als die Tage, die man schon gelebt hat. Das führt zu ganz verschiedenen Reaktionen:
Manche möchten die Zeit ausnützen und unbedingt noch eine bestimmte Reise machen, ein Abenteuer erleben, etwas Neues lernen.
Manche bereiten sich auf das Ende vor und richten alles her für den Tag.
Die meisten Menschen leben einfach ihr Leben weiter: Haushalt, Verwandte, Freunde – Arztbesuche, Ruhezeiten, gewohnte Aktivitäten, Freunde und Gesellschaft – je nach Geschmack.
Und wenn sie mich fragen: Möge es bitte jeder tun, wie es zu ihm passt. Denn eigentlich gelten im Alter keine anderen moralischen Ansprüche als im ganzen Leben:
Was du von anderen erwartest, das tu auch ihnen! Und: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!
Oder in der Sprache der Bibel: Liebe! Liebe das Leben und seinen Ursprung (Gott) und liebe die Lebenden: die anderen genauso wie dich.
5. Und dann?
Jetzt wäre es natürlich seltsam, wenn ich als christlicher Redner mit dem Beruf Pfarrer nicht auf das Thema zu sprechen komme: Tod und dann?
Dann erfüllen sich alle meine besten Wünsche: ich bin stark und kräftig, voller Lebensfreude und habe unendlich viel Zeit, um alles zu genießen, was ich genießen kann.
Nein im Ernst: Sportwagen, die Welt bereisen, Bücher lesen, Musik hören – das sind irdische Dinge – das ist nicht himmlisch!
Himmlisch ist …. tja: jetzt bleibt mir jedes Wort im Halse stecken, weil ich es nicht sagen kann.
Jesus benutzt den Vergleich mit dem Hochzeitsmahl – das ist doch als Bild nicht schlecht für das unaussprechliche, ‑ wenn wir mit Gott verschmelzen, wenn wir in ihn eingehen, ohne aufzuhören wir selbst zu sein –
Muss ich mich verantworten für das Böse, das ich dachte und tat? Für das Gute, das ich versäumt habe?
Ich hoffe, dass wenn das Böse aus mir verschwindet noch etwas übrigbleibt: das Gute, das ich wollte und tat und war.
Vor meinem letzten Gedanken will ich diese Überlegungen beschließen mit einem Appell, den ich irgendwann einmal gelesen habe und den zu befolgen ich sehr sinnvoll finde – ganz unabhängig vom Lebensalter:
Lebe stets so, wie du bei deinem Tode wünschen wirst, gelebt zu haben!
Nicht allein:
In Bondi Beach stehen 5 Personen auf der Bühne – Sie nennen sich zwischendurch „Beste Freunde“. Erwähnt werden manchmal Kinder und Partner. Ihre Gespräche sind ohne Tabus. Jeder kann alles sagen – auch was einem anderen nicht gefällt. Sie sind so vertraut, wie es sonst nur eine Familie ist. Ihre Gespräche sind mal feinsinnig, mal grobschlächtig, mal verletzend, mal mitfühlend
Sie sind nicht allein. Sie werden zusammen alt. Das ist gut. Das gibt Mut. Und für den, der keinen Mut findet, ist es trotzdem leichter, diesen Zustand auszuhalten.
Keiner soll allein sein müssen, wenn er es nicht mag.
Ich wünsche uns allen, dass es immer jemand gibt, der uns zeigt und spüren lässt, dass jede von uns – ob jung ob alt – wirklich wertvoll ist.
Wie schön wäre es, wenn das letzte Wort ein „Danke“ wäre.